Abstrakt

Kunst ist in Form gebrachtes Leben, die auf das Leben zurückwirkt

Kunst ist konkret. Über Kunst zu reden ist abstrakt. Die Wirkung von Kunst ist direkt und entzieht sich jedem Erklärungsversuch. Und doch mag es für manchen hilfreich sein auch einmal in Worten der Frage nachzuspüren: Wie entsteht Evas Kunst?

Eva redet kaum über Kunst. Jedes theoretisierende Gespräch darüber bricht sie schnell ab. Deshalb soll hier aus der Perspektive des Außenstehenden versucht werden zu erhellen, was Eva eigentlich tut und treibt. Und dabei gilt es zwei Fragen zu beantworten: Was ist Kunst? Und welche Rolle spielt dabei der Künstler?

Zuerst einmal: Diese Fragen nähern sich der Kunst begrifflich und abstrakt und deshalb würde uns Eva leicht missmutig sofort darauf hinweisen, dass schon im Ansatz ein Irrtum steckt. Denn Kunst ist für Eva nie abstrakt, sondern immer konkret. Man kann nur malen was ist – und zwar voll umfänglich ist. Innen – Außen, in ihren jeweiligen Eigenheiten und Gemeinsamkeiten, in ihren Gegensätzen und Abhängigkeiten, gesamthaft. Das gilt selbst für „abstrakte“ Kunst.  Was ist nun dieses Konkrete, dass sich in jedem Bild manifestiert, egal in welcher Form. Dieses Konkrete ist in Form gebrachte Lebensenergie. Und so lässt sich Eva Kunst vielleicht am besten in dem Satz zusammenfassen:

“Kunst ist in Form gebrachtes Leben, die auf das Leben zurückwirkt“

Im Jahr 2019 erlebte Namibia die schwerste Dürre seit über 60 Jahren. Flüsse vertrockneten, Wasserlöcher versiegten. Es war das fünfte Jahr in Folge ohne richtigen Regen. Zu Tausenden verhungerten und verdursteten Wild und Vieh. Eva verbrachte im namibischen Sommer 2019 einige Zeit auf einer Farm, die von der Dürre besonders heftig betroffen war. Der Anblick eines schwarzen Landarbeiters, der sich gerade daran macht eine verendete Kuh auszuweiden, um das verbliebene Fleisch zu retten, oder der Blick auf eine tote Antilope auf der Ladefläche eines Pick-up Trucks führt normalerweise zu der spontanen Reaktion sich von dem ganzen Elend aus Not, Kot, Blut und Tod abzuwenden. Wir blocken solche Situation instinktiv ab, weil wir sie nicht aushalten. Sich dieser Situation zuzuwenden und die darin wirkende Energie aufzunehmen, verlangt Kraft und Mut. Der Künstler hat diesen Mut und er ist seelisch stabil genug, sich von diesen starken Energien nicht überwältigen zu lassen, sondern sie in eine künstlerische Form zu bringen. Er nimmt die Energie der Situation auf und lässt sie in ein Bild einfließen. Darin wirkt er als Medium. Die in der Situation wirkende Lebensenergie fließt durch den Künstler hindurch ins Bild. Sie nimmt dadurch vermenschlichte Formen an, Formen also, die von Menschen, die diese Energie in ihrem originären Rohzustand nicht wahrnehmen oder aushalten können, nun empfunden und ertragen werden können.

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„Namibia 2019: Dürreopfer I“ 26 x 26 (cm), Acryl
"Namibia 2019: Dürreopfer II“ 30 x 40 (cm), Öl

Evas Verständnis nach sind Bilder in Form gebrachte Lebensenergie. Diese Lebensenergie ist nur im Augenblick zugänglich. Damit Kunst solcher Art möglich wird, müssen drei Aspekte zusammenfinden: Die direkte Wahrnehmung der Wirklichkeit oder anders ausgedrückt: vollständige Offenheit gegenüber dem Augenblick. Zweitens, die Fähigkeit die darin wirkenden Energien aufzunehmen und schließlich die notwendigen Fertigkeiten, um sie in einer künstlerischen Form zu fassen. Alle drei Aspekte verlangen Talent, aber darüber hinaus sehr viel Übung, harte Arbeit und die Offenheit und Bereitschaft dem Leben direkt zu begegnen und sich von ihm auch tatsächlich berühren, verändern und entwickeln zu lassen.

Das primäre künstlerische Talent besteht in der direkten Wahrnehmung. Der Künstler sieht die Wirklichkeit in einer Vollständigkeit und Tiefe, die dem Laien oft verborgen bleibt. Das ist die Voraussetzung dafür, dass er überhaupt als Medium wirken kann. Indem er die Wirklichkeit in seinen Werken erhellt, kann sie jetzt auch der Betrachter erkennen. Der Künstler schafft keine neuen Wirklichkeiten, sondern macht für den Betrachter Aspekte dieser einen, alles umfassenden Wirklichkeit sichtbar, die ansonsten im Dunkel bleiben würden. Dabei passiert eine Umwandlung der in der Situation wirkenden Energie in eine künstlerische, d.h. vermenschlichte Form, die es dem Betrachter nun erlaubt, diese Energie auf sich und sein eigenes Leben wirken zu lassen. Das kann der Dienst des Künstlers an der Menschheit sein: Vom Leben in die Kunst und ins Leben zurück.

Die Wahrnehmung des Künstlers erschöpft sich nicht in einem sensorischen Sehen und erst recht nicht in einem kognitiven Erkennen, sondern besteht sehr viel mehr in einem vollständigen Aufnehmen der Situation, insbesondere der darin wirkenden Energien. Energien werden aufgenommen, indem man sie bei sich selbst wirken lässt. In besonders dramatischen Situationen, also meistens solchen, in denen es um Leben und Tod geht, spüren fast alle Menschen diese besondere Energie. Den Künstler zeichnet nun aus, dass er auch in Situationen, die uns langweilig und unbedeutend erscheinen, dem Wirken der Lebensenergie gewahr wird. Auch aus einer Landschaft, einem Stillleben, einem Tier, einer Pflanze spricht das Leben selbst ganz deutlich zum ihm und will zu einem Bild werden.

Beim Künstler sind die Wahrnehmungsfähigkeiten extrem verstärkt. Selbst in den unscheinbarsten Situationen und Begebenheiten kann es passieren, dass das Leben in all seiner Macht ihm gegenübertritt.    

Damit wird nun auch klar, warum es den dritten Aspekt braucht, nämlich die Fähigkeit Energie in Form zu fassen. Die Form muss halten, auch wenn die Energien übermächtig zu werden drohen. Sonst bricht die Form und was dann entsteht, ist eben keine Kunst mehr, sondern Dilettantismus. Je größer die Kunst, desto stärker die Form und desto mächtiger die darin gefasste Energie. Deshalb gibt es ohne technische Fertigkeiten keine Kunst und das Ringen um diese Fertigkeiten ist essenzieller Bestandteil einer jeden Kunst und der Entwicklung eines jeden Künstlers. Ein Künstler der sich technisch nicht mehr ernsthaft bemüht, hat entweder das Niveau eines Picasso erreicht (eher selten) oder wird seinem Auftrag nicht gerecht (eher häufig). 

Deshalb benötigt ein Künstler auch die Leidenschaft, sich dem Ringen um und mit der Form auszusetzen. Das fängt ganz profan beim Handwerk an, dem perspektivischem Zeichnen etwa oder den Feinheiten der Farbenlehre und hört bei einer Aquarelltechnik noch lange nicht auf, bei der mit ein paar wenigen Pinselstrichen eine ganze Welt entsteht. Vielleicht ist es Evas hervorstechendste Eigenschaft sich in dieser Hinsicht nicht zu schonen. Die Maßstäbe, die dabei an das eigene Tun angelegt werden, werden von ihr als quasi „objektive“ Standards empfunden, wohl wissend, dass es so etwas wie objektive Kriterien in der Kunst gar nicht geben kann. Andererseits ist sie fest davon überzeugt, sich diese Standards nicht selbst gegeben zu haben, sondern erlebt sie als im Leben und der Kunst selbst verankert. Meistens erfährt sie ihr Wirken als hinter den Anforderungen der Wirklichkeit zurückbleibend (wenn man vielleicht von ein paar wenigen besonders hellen Schaffensmomenten absieht). Und so ist für Eva Kunst ein Weg. Ein Lebensweg voller Unzulänglichkeiten, Mühen, und empfundener Mediokrität. Wäre es nur nach Eva gegangen, würde es kaum eines ihrer Bilder auf diese Webpage geschafft haben. Aber das wäre doch wirklich sehr schade.

Friedrich Böbel, November 2022